Ein Staffellauf der schönen Bilder
„Kulturhauptstadt-Wetter“ begleitet Bambergs Bewerbung nach München
Fränkischer Tag vom 29.03.04., von Michael Wehner



Zumindest der Wettergott muss den Bambergern und ihrer Bewerbung als Kulturhauptstadt gewogen sein. Pünktlich zum Auftakt der 26-stündigen Kulturstaffel vom Domplatz nach München spannte sich ein satt blauer Himmel über Bamberg und machte den vielfachen Wechsel des Staffelstabs zu einem farbenfrohen Spektakel für die Zuschauer, die Mitwirkenden und nicht zuletzt die Medien.

„Wir wollen als Stadt ein Beispiel für Europa geben!“ Mit diesen Worten hatte Oberbürgermeister Herbert Lauer rund 200 geladene Gäste bei einem Kulturfrühschoppen in den Haas-Sälen eingestimmt. „Wir verfügen heute schon über mehr als die Grundausstattung dessen, was die Aufgabe einer Kulturhauptstadt Europas erforderlich macht.“
Ein Beispiel für eine einzigartige Bürgerbeteiligung war die folgende Kulturstaffel auf jeden Fall. Annähernd 1000 Beteiligte sorgten in Bamberg und im Anschluss im Landkreis für den Transport des Staffelstabs zu Lande, zu Wasser und in der Luft von Bamberg über mehrere Dutzend Etappen nach Ebrach.

Schon in der Domstadt herrschte nach der Übergabe an den Bamberger Reiter, dargestellt von Harald Bogensperger, fröhliche Volksfeststimmung. Wer alle Wechsel des Staffelstabs mit eigenen Augen verfolgen wollte, musste sich aufs Fahrrad schwingen, so schnell waren die Staffel verzückten Bamberger. Auch die Medienvertreter, allen voran Kameraleute und Fotografen, kamen angesichts der üppigen Bilderflut bei schönstem Licht ins Schwitzen. Vom Domplatz bis zum Künstlerhaus Villa Concordia, weiter zum Bootshaus, zum Mühlwörth und zum Theater rasten die Reporter im Schlepptau des Stabs.
Im Bamberger Schauspielhaus nahm – wer sonst hätte es sein sollen? – E.T.A. Hoffmann das gute Stück aus Händen eines Rad fahrenden Bäckers namens Beck entgegen und trug es beauftragt von Kaiser Heinrich und Kunigunde zum Schönleinsplatz. Dort hörten die Kameraverschlüsse fast nicht mehr auf zu klicken, als sich der Bobbycar-Konvoi auf den Weg zum Obstmarkt machte – die Bewerbung stilecht im Anhänger aufgeladen und mit einem Klebeband gesichert.

Im Zickzackkurs vollendete der Staffelstab die Runde durch Bambergs Altstadt: Am Obstmarkt ging es vorbei; unter dem Alten Rathaus hindurch, den Katzenberg hinauf, zum Leinritt hinunter und schließlich über den Fluss zur Konzert- und Kongresshalle. Fast wie Geld wechselte der Staffelstab durch viele Hände. Die Gärtner nahmen ihn auf die Karre, das Marionettentheater Loose geleitete das gute Stück einen Teil seines Wegs, Bürgermeister mussten tragen helfen, der Hotel- und Gaststättenverband nutzte den Auftritt für die Darstellung wichtiger Bamberger Werte und die Bamberger Fischer hängten das Teil einfach an ihren Ankelhaken. – Keinen Abbruch tat dem bunten Treiben eine Aktion von Rosa Brunner und Judith Siedersberger, die die Kulturstaffel als „aufgeblähtes Eventmarketing“ kritisierten und mit Pauken und Trompeten „noch eins draufsetzen“ wollten. Das gelang: Auf ihre Weise sorgten sie für die passende akustische Untermalung.

 
 

Mann flippte aus
aus dem Polizeibericht, Fränkischer Tag vom 30.03.04

Trommler beim Kulturstaffellauf regten einen 44-jährigen Passanten am Domplatz so auf, dass er am Sonntagmorgen lautstark seinen Unmut äußerte. Als ihn ein 43-jähriger Mann beruhigen wollte, schlug er diesen kurzerhand nieder. Beamte der Polizeiwache Schranne nahmen den 44-jährigen Bamberger in Gewahrsam. Ein Test am Alcomaten erbrachte einen Wert von 0,6 Promille. Bei seiner Durchsuchung fanden die Polizisten eine Schreckschusspistole, wofür der Mann keinen Waffenschein besitzt. Den 44-Jährigen erwartet eine Anzeige wegen Körperverletzung und Verstoß nach dem Waffengesetz.


 
 
 
 
 
“Jetzt haun wir auf die Pauke – tä-tärä-tätä!”
Einsatz im kulturellen Krisengebiet
Ein Statement zur Kunstaktion von R. Brunner und J. Siedersberger,
Fränkischer Tag vom 06.04.04

Seit unserer Gesprächsrunde im November 2003 in der Villa Dessauer verfolgen wir gespannt, wie sich Bamberg als “Kulturhauptstadt ersten Ranges” definiert. Was bislang zu sehen und hören war, lässt zwar das Wunschziel erkennen, aber das Konzept, das durch die Imagebroschüre “WIR BEWERBEN UNS. WIR BEWEGEN UNS.” der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, ist kein Konzept, sondern ein Loblied auf vergangene Bamberger Qualitäten. Das Aufzählen des bereits Vorhandenen und ein oberflächlicher Kulturfahrplan reichen unserer Meinung nach für eine Bewerbung zur Kulturhauptstadt nicht aus. Die Stadt hat in ihrer Zeit- und Ideennot nicht auf Inhalte, sondern auf eine konforme Begeisterung in der Bevölkerung gesetzt. Um diesem gleichgeschalteten Begeisterungstaumel für Bewerbungsevents auf grundlegende Defizite hinzuweisen, haben wir uns entschlossen, dem Staffellauf mit Pauke und Trompete eins draufzusetzten und Handzettel zu verteilen. Aggressive Ablehnung, vereinzelte Zustimmung aber auch heftige Diskussionen wurden entfacht. Der Bewerbungsübergabe im Hof des Kunstministeriums beizuwohnen wurde von der Stadt Bamberg mit Polizei verhindert.
Es ist ein Kommunikationsprozess nötig, der in der Bevölkerung ein Bewußtsein für Kultur schärft. Um effektiv die Bewerbung zur Kulturhauptstadt zu planen, brauchen wir ein Gremium lokaler Kulturschaffender aller Gattungen, das an der Konzeption mitarbeitet. Für das kreative Potential muß eine Stelle im Kulturamt geschaffen werden, die mit der lokalen Kulturszene vertraut ist und ein Netzwerk aufbaut.
Abgesehen von organisatorischen Fragen bestehen bei den Grundvoraussetzungen für eine Bewerbung vor allem im Bereich der Bildenden Kunst gewaltige Defizite. Der Besitz von international anerkannten Kunstwerken und das Künstlerhaus Villa Concordia ist eine Bereicherung. Jedoch muss unserer Meinung nach das eigene zeitgenössische schöpferische Potential eine Kulturhauptstadt repräsentieren. Dafür muss die Situation für die Bildenden Künstler vor Ort verbessert werden. So könnte die Installierung eines selbstverwalteten Kulturforums unter anderem Räumlichkeiten für Ausstellungen, eine Artothek, Werkstätten, Ateliers und eine Kinder- und Jugendkunstschule beherbergen.
Die Bewerbung Bambergs zur Kulturhauptstadt bietet eine hervorragende Möglichkeit die Bedeutung der Bildenden Kunst für die Gesellschaft in der Öffentlichkeit zu thematisieren. Durch das Entwickeln und Umsetzen von Utopien wird die kulturelle Vielfalt vor Ort gezeigt und wirkt befruchtend auf alle anderen Bereiche der Kommune.
Unsere Vision ist, dass Bamberg “seine” KünstlerInnen wahrnimmt und in ihrer Arbeit unterstützt. Durch die Kontakte, die Bamberg zu den Partnerstädten pflegt, bietet sich eine Möglichkeit für uns KünstlerInnen nach außen zu gehen und dort Bamberg als zeitgenössisches Kunsthighlight zu präsentieren.
Wir freuen uns auf die Kulturhauptstadt und dass sich “BAMBERG BEWEGT” möchten wir erleben.

 
Wir schreiben das Jahr 2010

Bamberg ist Europäische Kulturhauptstadt und präsentiert neben musikalischen Höhepunkten und gewagten Erstaufführungen Jungen Theaters sich als Ort pulsierender zeitgenössischer Kunst. Bereits 2004 wurde ein selbstverwaltetes Kulturforum im ehemaligen Ufa-Kino eröffnet, das Ausstellungsräume, eine Artothek, Werkstätten, Ateliers und eine Kinder- und Jugendkunstschule beherbergt. Das Kulturforum wird unterstützt vom Verein "Freundinnen und Freunde Bamberger KünstlerInnen". Leerstehende städtische Immobilien wurden für experimentelle und avantgardistische Kunstprojekte zur Verfügung gestellt. Jedes Jahr sendet Bamberg zwei seiner KünstlerInnen als BotschafterInnen für sechs Monate in eine Partnerstadt. Nach ihrer Rückkehr stellen diese ihre Erfahrungen und Eindrücke in einer visionären Retrospektive der nach Kunst lechzenden Öffentlichkeit vor. Die Kulturstation im Cyberrathaus wird von einem Freak aus der Bamberger Kulturszene geleitet. Dort befindet sich auch die Schaltstation, das Herz der Kultur, ein Netzwerk mit dem alle Kulturschaffenden wireless verbunden sind. Seit der Bewerbung zur Kulturhauptstadt wandelte sich das Berufsbild des Bamberger Beamten hin zum freien Künstler. Auch der städtische Haushalt, der vorher im Schuldenberg zu ersticken drohte, erholte sich in Lichtgeschwindigkeit durch die Produktivität dank der künstlerischen Erkenntnisse aller Ex-Beamten. Kunst wurde erst zur Nahrung dann zur Sucht.

Bamberg 2004

Euphorisch wird der Staffelstab mit der Bewerbungsschrift zur Kulturhauptstadt im Zick-Zack-Kurs zu Land, zu Wasser und durch die Luft nach München gebracht. Jetzt ist dem Kleinstädter klar - alles ist Kultur: ob Kürbis oder Bobby Car - Bamberg ist in mehrfacher Hinsicht eine noch unentdeckte Kultur(haupt)stadt Europas. Bamberg erfüllt nahezu alle EU-Kriterien für eine Benennung zur Kulturhauptstadt Europas mehrfach und hat im europäischen Städtevergleich kulturgeschichtlich wie aktuell Herausragendes zu bieten. Für die ansässigen Bildenden Künstler sieht das wie folgend aus: den Ankaufsetat für Kunst gibt es nicht mehr, Ausstellungsräume bleiben wegen fehlender Finanzen leer, Anerkennung als KünstlerIn in Bamberg ist weiterhin Utopie.

Rosa Brunner und Judith Siedersberger

Der Sience Fiction erschien in der GAZ/Mai 04

 
 
 
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